Projekt CERBERUS, NSA Wiesbaden

Miss Marple war nicht erfreut! Was sie durch das SpyGlass von Jackson sah und hörte gefiel ihr ganz und gar nicht. Und dann, in dem Moment, in dem jemand mit aggressivem Gebaren aufstand und auf Jackson zuging, verloren sie das Signal.

Peterson und Jackson waren auf einen Schlag vom Überwachungsradar verschwunden. Das hiess, sie mussten jetzt noch dort sein, aber wie lange? Was war hier gerade passiert?

Signalblocker von solcher Qualität gab es nur bei Geheimdiensten und Militär. Sie setzte sicherheitshalber drei kleinere SpyBugs manuell in Marsch, damit das Gebäude wenigsten von aussen überwacht sein würde.

Allerdings brauchten die Spybugs mindestens zehn Minuten um dort anzukommen. Zehn Minuten in denen sie absolut blind war.

Die Sache lief langsam, aber stetig, aus dem Ruder. Mit CERBERUS hätten sie dieses Problem nicht gehabt. Der hätte aus den dort herumschwirrenden Stäubchen, wie sie auch genannt wurden, eine komplette Überwachung der Innen- und Aussenräume geliefert. Zumindest der Aussenräume. Falls die Innenräume auch gegen Stäubchen allergisch waren.

Ein vorsichtiger Blick in Captain James Büro half ihr, die Situation einzuschätzen. Dummerweise wurde sie dadurch nicht besser. Die Laune des Captains tendierte gegen den Nullpunkt. Es half nichts. Da musste sie jetzt durch. Mit einem tiefen Einatmen stand Heather Bolding auf, straffte sich, warf noch einen Blick in die spiegelnden Flächen des Büros von Captain James, kontrollierte den Sitz ihrer Frisur, zupfte eine Strähne zurecht und bewegte sich, gemessenen Schrittes, auf das Büro zu.

Ein gerauntes »Herein, vadammt« später sah Heather Bolding auf einen missmutigen, im Sessel sitzenden Jesse James herab.

»Also, sie wären ja nicht gerade hier, wenn es keine Probleme gäbe, oder?« meinte James mit einem herausfordernden Blick.

Heather war klar, dass sie das so schnell wie möglich auf den Punkt bringen musste. Es wurde nicht besser, wenn man wartete.

»Wir haben den Kontakt zu Peterson und Jackson verloren! Wir müssen uns langsam mit dem Gedanken anfreunden, einen Teil der deutschen Behörden in Kenntnis zu setzen. Eigentlich müssen wir sofort handeln, solange noch eine Chance besteht, dass Peterson und Jackson sich an dem Ort aufhalten, als wir das Signal verloren haben. Es sind bereits SpyBugs unterwegs, aber wir haben ein Loch von zehn Minuten.«

Man konnte auf Jesse James Gesicht lesen, wie auf einer Landkarte. Allerdings wurden Landkarten nicht wütend. Sie sah wie James mühsam einen Wutanfall herunterschluckte und mit leicht bebender Stimme meinte

»Und warum waren keine SpyBugs von vornherein dabei? Verdammt noch mal, Bolding, wie dilettantisch muss man denn sein?«

Nun, damit hatte James nicht gerade Unrecht. Spätestens ab dem Zeitpunkt, ab dem John nicht in seiner Wohnung aufzufinden war, hätte man das Gefahrenlevel erhöhen müssen. Wozu gehörte, dass immer irgendwelche Drohnen den Einsatz überwachten.

»Sorry Captain, das ist in der Hektik leider untergegangen. Das wird uns nicht noch einmal passieren.«

Wobei sie herunterschluckte, dass Captain James massgeblich für die betroffene Hektik gesorgt hatte. Vor allem ärgerte sie sich darüber, dass der Captain auch noch Recht hatte. Verdammter Mist! Sie durfte sich einfach nicht von Stimmungen beeinflussen lassen. Warum war sie nur so empfindlich? Vielleicht standen bald wieder ihre Tage an? Egal. Sie musste sich mehr konzentrieren. Sie bekam gerade noch mit, wie Jesse meinte:

»Ok, Bolding, sie haben das vermasselt. Sie werden das auch wieder bereinigen. Das nächste Mal will ich eine schöne und entspannende Erfolgsmeldung. Haben sie mich verstanden?«

»Ja Sir!« bekam sie noch mit Mühe heraus. Es wurde Zeit, so elegant wie möglich, den Rückzug anzutreten.

»Und kommen sie mir nicht noch einmal mit den deutschen Behörden. Die brauchen hier die Nase nicht reinstecken! Klar?«

Ihr nächstes »Ja, Sir!« wurde von der sich schliessenden Tür verschluckt. Jesse James ging an seinen Spezialschrank und holte sich mit Schwung die Flasche Whiskey hervor, die er hier für Notfälle gebunkert hatte.

Was für ein verdammter Scheisstag, dachte James und schenkte sich ein Fingerbreit Whiskey ein. Er schwenkte das Glas sachte, um das rauchig-torfige Aroma aufzunehmen und nippte vorsichtig am Glas. Eigentlich war er in der Stimmung, sich die ganze Flasche reinzukippen, aber das wäre Verschwendung gewesen.
Es war zwar kein 60jähriger Macallan Lalique, aber immerhin ein 21jähriger Lagavulin, von dem es nur um die 6000 Flaschen gab.

Währenddessen hatte sich Heather etwas gefangen und überlegte angestrengt. Was könnte sie noch machen? Eben, während sie es am Bildschirm verfolgen konnte, kam von Gosford die Meldung, dass Johns Laptop und Smarty aus der Ortung verschwunden waren und sie keinen Anhaltspunkt hätten, wo dieser abgeblieben sei. Die Verlängerung der bekannte Route führte in eine Sackgasse.

Dahinter erstreckten sich die Wehrmauern und der Todesstreifen. Auch in den unbewachten Zonen hätte die Geräte ortbar sein müssen. Aber das Signal riss ab, kurz vor dem Übergang zur unbewachten Zone und zum Slumgürtel.

Sie schickte Miller und Gosford, dem Team, das Peterson losgeschickte hatte, ein paar Minidrohnen. Und eine Nachricht, dass sie sich nach illegalen Durchgängen zur unbewachten Zone umschauen sollten. Kipling und Myers schickte sie zu dem Ort, an dem Peterson und Jackson vom Radar verschwunden waren.

Die SpyBugs näherten sich dem Bereich von Petersons letzter Position und Heather jagte das aktuelle Filmmaterial durch den Scanner um alle Personen und Fahrzeuge im Umkreis zu identifizieren. Es kam auf jede Sekunde an. Das Material später auszuwerten würde kostbare Zeit verbrauchen.

Fast hätte sie die Systemmeldung übersehen, die ihr mitteilte, das CERBERUS nicht zur Verfügung stand und daher die Auswertung mit herkömmlichen Methoden Stunden benötigen würde.

Es war wie verhext. Ausgerechnet wenn man CERBERUS mal hätte brauchen können. Wenn diese KI endlich mal von Nutzen hätte sein können. Ausgerechnet dann war sie nicht verfügbar!

Ein Blick auf die System Administratoren bestätigte ihr, was sie eh schon wusste. Sie hatten keine Ahnung wie sie CERBERUS zum Laufen bringen sollten. Sie konnte fast spüren, wie ihr Blick bemerkt wurde. Bestimmt hiess es jetzt wieder »Miss Marple schaut so komisch. Wir sollten uns schnell was einfallen lassen.«

Zumindest gingen alle auf Tauchstation. Als ob dadurch etwas besser wurde?

Die SpyBugs hatten sich mittlerweile strategisch um das Gebäude positioniert. Alles schien ruhig soweit, obwohl man durch die Vorhänge nicht viel erkennen konnte. Seltsamerweise konnte sie kein sauberes Infrarotbild vom Erdgeschoss bekommen. Auf was war sie hier gestossen?

In dem Augenblick, in dem Jeff Burns, einer der gewiefteren System Administratoren, hinter ihr auftauchte und zum Sprechen ansetzte, konnte sie ein Aufblitzen aus einem der Fenster im Erdgeschoss sehen, gefolgt von einem Geräusch, dass sie lieber nicht gehört hätte. Es hörte sich zu sehr nach einem Schuss an. Viel zu sehr.

Das war gar nicht gut …

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