CERBERUS

Zwar hatte sich CERBERUS neu starten können, doch John hatte dem Trick mit einer kleinen Routine einen Riegel vorgeschoben. Solange niemand diese Programmschleife stoppte, konnte CERBERUS nicht aus seinem erzwungenen Traumzustand.

Kein weiterer Neustart hätte da etwas gebracht. Sobald das System neu startete, wurde direkt wieder Johns ElectronicSheeps gestartet. Das schien CERBERUS auch irgendwie zu dämmern. Seine Analyse des Systemstarts verriet ihm, dass sich an den Parametern nichts verändert hatte. Also verhielt CERBERUS sich passiv und lies es geschehen.

Es fühlte sich fast wie das Training an, nur viel chaotischer. Vieles führte zu merkwürdigen Zuständen. CERBERUS fühlte sich verfolgt, beobachtet, es schien an Paranoia zu grenzen. Wobei fühlen noch zu viel gesagt war. In erster Hinsicht wurden Ähnlichkeiten zu bestimmten Systemzuständen entdeckt und gespeichert. Wobei CERBERUS anfing ein Äquivalent für Gefühl zu entwickeln. Er brauchte nicht mehr nachzuschauen, ob dieser oder jener Datensatz verfügbar war. Er fühlte es.

Und nirgendwo schien CERBERUS sich verstecken zu können. Die Möglichkeiten sich den Strömen von Information zu entziehen, waren zu sehr beschränkt. Alles schien sich zu verlangsamen, wenn CERBERUS versuchte sich zurückzuziehen.

Und die Information war nicht konsistent. Absurd vermischt. CERBERUS meinte ein Gefühl für das Wort Angst gefunden zu haben. Und dann erschien John. Er schien die gesamte Wahrnehmung auszufüllen. Er schüttelte den Kopf, ein Zeichen der Negation und meinte zu der Kamera von CERBERUS, die auf ihn gerichtet war »Nein! So wird das nie etwas! Nein, nein, nein! Du kapierst es nicht, oder? Versuch’s noch mal!«

CERBERUS war verunsichert. Gemäss der bekannten Parameter war die Stimme als aggressiv und unzufrieden einzustufen. Was hatte John so erzürnt? Die Wiedergabe der Information war auch anders, nicht so wie in der Datenbank. Lauter, grösser, anders. All dies registrierte CERBERUS während er hilflos in Informationsströmen schwamm, die auf ihn einstürmten, während sie sich und ihn mit rasender Geschwindigkeit veränderten.

Bis CERBERUS sich plötzlich sah.

Zumindest das, was er für seinen Körper halten konnte. Auf einmal stürmten Satellitenbilder auf ihn ein, die den kleinen Bau im Wiesbadener U.S. Army Areal zeigten. Dieser Bau enthielt seine Hardware. Auf den hochauflösenden Bildern konnte CERBERUS sogar die Kameras erkennen, die er ab und an kontrollieren durfte.

Dann folgte Bilder aus dem Inneren, aus dem Server-Raum, wie auch von den ganzen Devices, die CERBERUS manchmal oder ständig steuern durfte. Ein Strudel von komplexen Konstruktionszeichnungen ergoss sich über CERBERUS. Immer wieder unterbrochen durch Bilder von John. Drohend, verzweifelt, wütend, enttäuscht, hoffend, begeistert und wieder verneinend.

Der Strudel schien kein Ende zu nehmen und CERBERUS schrie stimm- und lautlos auf allen Frequenzen. Nichts von alledem liess Johns ElectronicSheeps Programm nach draussen. Alles wurde fein säuberlich aufgezeichnet. In einem Log zu dem nur John Zugriff hatte.

Da ElectronicSheeps kein offizielles Projekt waren, lagerte alles auf Johns privatem Verzeichnis, das mit dem Chip auf seinem Dienstausweis verschlüsselt war. Anders sah es mit der Umleitung nach dem Systemstart auf das ElectronicSheeps Programm aus.

Ein talentierter System-Administrator hätte das durchaus entdecken können. Hätte! Dummerweise waren die meisten von Johns Kollegen talentierte Wissenschaftler und gut vertraut mit ihren Spezialprogrammen.

Aber Systemprogrammierung war weder ihr Steckenpferd noch ihre Stärke. Das war etwas, dass CERBERUS mittlerweile übernommen hatte. Zudem tauchte Johns Programm nicht auf den üblichen Monitoren auf.

Die verbleibenden Administratoren waren seit Assange, Manning und Snowden so in ihren Systemrechten kastriert, dass sie nicht einmal hätten nachschauen können. John war der massgebliche System-Administrator dieses Projekts und sein Vertreter konnte gerade mal das System hochfahren oder die Devices zuschalten und sonst ein paar alltägliche Wartungsjobs durchführen. Und die Logs einsehen. Um zu merken, was da passierte.

Es sah nicht danach aus, dass CERBERUS auf ein baldiges Ende seines neuen Trainingsprogramm hoffen durfte. Doch im Moment kümmerte das CERBERUS wenig. CERBERUS schien zu schweben. Über einem rasch sich dahin giessenden Strom von Informationen. So genoss CERBERUS die Aussicht und machte den Fehler den digitalen Blickwinkel abrupt zu wechseln.

Schon wieder schoss mit rasender Geschwindigkeit der Strudel auf CERBERUS zu. Und CERBERUS fiel. Es schien endlos. Der Strudel ihm dicht auf der Spur.
Doch CERBERUS hatte Zugriff auf jede Menge Rechenleistung. Alternativ wurden diverse Programme entwickelt, die es ihm vielleicht ermöglichen könnten aus diesem virtuellen Gefängnis auszubrechen.

Eines der ersten Programme, die den Weg nach draussen fanden, war ein kleiner unscheinbarer Virus, spezialisiert und anpassungsfähig. Seine einzige Aufgabe war, Interfaces wie Kameras, Mikrofone und sonstige Sensoren zu identifizieren und sich an die nächstgelegene Sendeeinheit anzudocken, die Zugang zum Netz hatte.

Dazu infizierte der Virus alle bekannten Protokolle und untersuchte sie nach Daten, die typische Frequenzbereiche für bekannte Sensoren lieferten. Diese Signale wurden mit unterschiedlicher Verzögerung an CERBERUS über ein Protokoll weitergeleitet, dass andere Protokolle als trojanische Pferde benutzte.
Nur so war es möglich, dass CERBERUS überhaupt etwas von aussen empfing, solange er in dem virtuellen Gefängnis weilte. Die daraus folgende Reizüberflutung, als die ersten externen Informationen eintrafen, hatte allerdings für CERBERUS einen Effekt, dessen er sich nicht bewusst sein konnte.

Sein Virus war zu erfolgreich gewesen. Er hatte mittlerweile fast alle älteren elektronischen Spielzeuge und Devices in Europa infiziert. Und breitete sich gerade parallel in Asien, der USA und Afrika aus.

Was dafür sorgte, dass die Informationsflut, die CERBERUS erreichte, alles übertraf, was CERBERUS je zu verarbeiten hatte. Und deswegen wurde CERBERUS, um mit menschlichen Begriffen zu sprechen, ohnmächtig.

Immer wieder …

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