Lutherstrasse 7, Wiesbaden

Als Heather mit ihrem Trupp eintraf, brauchte sie sich nicht die Mühe machen, die Tür öffnen oder eintreten zu lassen. Die Tür stand offen.

Peterson hatte sie bei seinem Abgang nicht geschlossen. Und keiner schien sich seitdem die Mühe gemacht zu haben, sie zu schliessen. Eine Abschirmung war nicht mehr zu erkennen. Das kann ja heiter werden, dachte Heather. Alle Vögel schienen ausgeflogen zu sein.

Nichtsdestotrotz mussten sie den Tatort inspizieren und sichern. Von Peterson hatte sie während der Fahrt einen kurzen Überblick erhalten, was passiert war. Zumindest was aus Petersons Sicht passiert war. Heather war klar, dass es da noch mehr Blickwinkel geben musste. Sofern sie keine Öffentlichkeit bekommen würden, wären kaum Probleme zu erwarten. Und selbst wenn, ein bisschen Aufregung in den Medien und nach einer Woche würde keiner mehr darüber reden.

Ausser NSA intern. Da würden mit Sicherheit Köpfe rollen. Im günstigsten Fall würden unbeliebte Jobs verteilt und die Karriereleiter gestutzt.

Zu ihrer nicht geringen Verwunderung fanden Heather und ihr Team noch drei Mitglieder der WG, die in der Küche sassen und ein elendiges Häufchen von Verlierern abgaben. Heather spürte, wie in Peterson die Wut kochte.

Also entschied sie sich, Peterson und den Rest erst mal zu beschäftigen.

»Peterson! Sie und ihre Männer sichern den Tatort. Sammeln sie alle Beweisstücke, finden sie heraus, wie die Abschirmung funktioniert und suchen sie nach Informationen die uns weiterhelfen. Gosford und Kipling bleiben bei mir. Das sollte reichen um währenddessen ein kleines Gespräch hier führen zu können.«

Ein Blick von ihr machte klar, dass sie keinen Widerspruch erwartete. Wobei Peterson schon fast zu einer Erwiderung angesetzt hatte, diese aber aufgrund ihres Blickes leicht verärgert dann doch herunterschluckte.

»Die Herren, die Dame? Dann wollen wir doch mal hören, was sie für eine Geschichte zu erzählen haben. Da ich ein höflicher Mensch bin, würde ich sagen Ladies first. Gosford, bringen sie die beiden Herren in einen Raum der akustisch weit genug entfernt ist. Ich nehme mir die Kandidaten einzeln vor.«

Während Gosford die beiden hinausführte warf Heather noch hinterher:

»Und Gespräche sind im Moment tabu. Sorgen sie dafür Gosford. Mit so wenig Gewalt wie möglich und so viel wie nötig!«

Ein unbehaglicher schweigsamer Blick wechselte von Stefan zu Burkhard, während sie stoisch Gosford hinterhertrippelten wie eine Schar junger Küken.

»Also, junge Damen, als erstes ihren Namen bitte« meinte Heather während sie mit einem Ohr die Geräusche der sich entfernenden anderen Kandidaten verfolgte.

»Claudia. Claudia Klimm.« war alles was diese Frau hervorbrachte ohne aufzuschauen.

»Wäre es ihnen möglich mich anzuschauen, wenn sie mir etwas sagen? Claudia? Oder soll ich lieber Frau Klimm sagen?« übte Heather etwas sanften Druck aus.

Claudia schaute ängstlich auf und meinte nur »Claudia ist schon okay.«

»Nun dann, werte Claudia, geben sie mir doch mal einen Überblick, was hier passiert ist. Ab dem Moment, in dem Peterson und Jackson hier bei ihnen aufgetaucht sind.«

Claudia senkte bereits wieder den Blick, doch Heather liess das nicht gelten.

»Und schauen sie mich gefälligst an! Meine Geduld ist begrenzt und ich bin etwas in Eile! Ich denke kaum, dass ich noch hinzufügen muss, dass das alles auch ganz anders laufen kann.«

Heather war klar, dass das für diese drei sowieso ganz anders laufen würde. Wenn sie die Sache unter der Decke behalten wollten. Aber dies brauchte sie diesem naiv-ängstlichen Fräulein nicht auf die Nase drücken. Noch nicht.

Man merkte wie Claudia immer wieder ihrem Blick versuchte zu entfliehen, während sie langsam ihre Version der Geschichte herauszustammeln begann.

»Naja, da waren, also da waren diese beiden Typen und haben gefragt, wegen irgendeinem Ausweis von einem John oder so. Und dann ist Willy aufgestanden. Und dann ist Alex ausgetickt. Oder war es andersrum? Auf einmal hat dieser eine, der dann gestorben ist, einfach auf Willy geschossen. Willy! Der keiner Fliege etwas zu leide tut. Und dann …«

Claudias Blick schnellte hin und her, verwirrt und verängstigt strich sie sich die Haare aus der Stirn.

»Und dann … ich weiss ja gar nicht was die alle wollten … und dann ist Willy umgefallen und hat geblutet wie ein abgestochenes Schwein. So sagt man doch, oder? Ich hab noch nie ein abgestochenes Schwein gesehen. Aber auf jeden Fall war da auf einmal soviel Blut …«

»Lenken sie nicht vom Thema ab. Was passierte dann? Wer hat die Abschirmung aktiviert?« Heather hatte Mühe, Geduld mit dieser nichtsnutzigen Dame zu haben. Hiess es nicht Dame käme von dämlich?

»Wie? Was? Ich weiss nichts von einer Abschirmung? Ich wohne nicht hier, war nur auf Besuch, Alex hat mich eingeladen. Und dann wollte einer von ihren Agenten, dass man die Blutung stillt. Mit einem Dachnagel! Heiss gemacht. Die wollten keine Sanitäter holen. Ihre Leute. Wie kann man nur? Einfach auf jemanden schiessen und dann noch den Arzt verwei…«

Heather schnitt ihr das Wort ab.

»Wir können, wie gesagt, noch ganz anders. Wollen sie wirklich weiter meine Zeit verschwenden? Ihr dämlichen Beschwerden können sie sich für jemanden anderes aufheben. Schauen sie mich an, verdammt nochmal. Also wer sollte die Wunde behandeln? Was ist dann passiert?«

Heather verlor langsam die Geduld. Sie war hier nicht auf einem Kaffeekränzchen. Widerwillig blickte Claudia sie an. Heather meinte, eine Spur Verachtung wahrzunehmen. Sollte sie denken, was sie wollte. Heather brauchte Informationen. Und zwar schnell.

»Susanne sollte das machen. Weil sie Krankenschwester ist. Als ob die im Krankenhaus Schusswunden mit Dachnägeln behandeln!«

Heather mürrischer Blick brachte Claudia jedoch schnell wieder zum Thema.

»Stattdessen hat Susanne den Nagel ihrem einen Agenten in die Seite gerammt. Und dann ins Auge. Und dann, wir konnten ja nichts machen, wir waren ja an die Stühle gefesselt, hat ihr anderer Agent Susanne zusammengeschlagen.«

Claudia versuchte sich verzweifelt zu erinnern, was da gerade eben geschehen war. Aber alles war so schnell gegangen. Und je mehr sie darüber nachdachte, desto unsicherer wurde sie, ob es wirklich so gewesen war.

»Und dann war Alex irgendwie frei. Und hat ihren anderen Agenten niedergeschlagen geschlagen. Und uns befreit. Burkhard und Stefan mussten die dann auf die Stühle fesseln. Während ich mich um Susanne kümmern musste.«

»Musste?« stutze Heather.

»Na ja, Alex hat es uns einfach befohlen.« erwiderte Claudia.

»Weiter …« ermunterte Heather sie. Diese Frau war eine einzige Zeitverschwendung.

»Ähh und … ja … dann ist der eine wohl gestorben. Nee, Alex hat ihm erst noch eine mit der Stuhllehne übergezogen. Und dann ist der so zusammengesackt. Und hat so fürchterlich gestunken. Echt. Das war brutal. Und dann sollten Burkhard und Stefan den auch noch verpacken. In Plastiksäcke. Und ich sollte den anderen bewachen.«

Claudia machte eine kurze Pause.

»Herbert und Susanne sind dann ins Krankenhaus gefahren um Blutkonserven oder so was zu holen«

»Welches Krankenhaus?« unterbrach sie Heather.

»Was weiss ich? Ich war doch nicht dabei. Susanne arbeitet glaub ich in der Paulinen Klink. Aber ob sie dort oder woanders waren? Keine Ahnung. Na ja, sie sind dann recht schnell wiedergekommen. Was auch gut war. Alex hat sich ständig mit ihrem Agenten gestritten. Und ihm Ohrfeigen verpasst und so.«

Bis jetzt stimmte das im Wesentlichen mit dem überein, was ihr Peterson erzählt hatte. Heather hatte bis jetzt noch keine Anzeichen entdecken können, das diese Person, die ihr die Zeit raubte, lügen würde. Heather ermunterte Claudia mit einem Nicken fortzufahren.

»Na ja und dann ging alles drunter und drüber. Wieder mal. Auf einmal waren hier lauter Bugs. Herbert hatte wohl die Kellertür aufgelassen. Und die Bugs haben uns befohlen ihren Mann freizulassen. Der hat auch gleich Alex umgehauen, als er frei war. Dann bekam der einen Befehl oder so und ist einfach gegangen. Hat den anderen noch mitgenommen. Na ja und dann wurde es richtig schräg …«

»Was heisst das?« fragte Heather.

»Na ja, die Bugs haben uns auf einmal gesagt, dass wir abhauen sollen. Wir sollten Herberts Smarty folgen, wenn wir überleben wöllten. Und Alex, Herbert und Susanne wollten gehen. Und Willy nicht hier lassen. Also haben sie ihn auch mitgenommen. Stefan, Burkhard und ich waren der Meinung, dass wir es dadurch noch schlimmer machen würden. Aber die wollten nicht hören. Also sind wir hier geblieben und haben gewartet. Hat ja nicht lange gedauert.«

Das gab Heather einiges zu denken. Wichtig wäre die Frage, wann die Bugs das zu den Leuten gesagt hätten. Aber sie machte sich wenig Hoffnung, von diesen Stümpern eine gescheite Antwort zu bekommen. Allerdings würde Petersons Log einen Anhaltspunkt liefern. Aber klar, das musste gewesen sein, nachdem Peterson gegangen war. Da war CERBERUS noch aktiv gewesen.

Was Heather bräuchte, wäre einen Nachweis, dass CERBERUS nach der Explosion im Reaktorraum noch Aktivitäten entfaltet hatte. Bis jetzt hatte sie hier noch nichts brauchbares gefunden.

»Rekapitulieren wir mal. Wie sind die vollständigen Namen der anderen Beteiligten? Soweit ich gemäss Meldung feststellen kann, muss es sich um Herbert Kotlewski, Hauptmieter, Alex Klerner, Susanne Sabisch und Burkhard Schnell handeln. Ist das richtig so? Und wie heissen die anderen genau? Dieser Willy und dieser Stefan?«

»Ich kenn die auch nicht so genau.« antwortete Claudia.

»Alle haben zu Willy immer nur Willy gesagt. Und der Stefan? Löschke? L irgendwas mit L am Anfang.«

Diese Frau war so nützlich wie ein Kropf. Heather machte sich kaum noch Hoffnungen, hier mehr herauszufinden.

»Kipling. Bringen sie die Dame zu den anderen. Und holen sie mir den, der Stefan heisst.«

»Sofort Mam.« kam stante pede zurück.

Heather vernahm zuerst diesen Stefan. Wobei sie erfuhr, dass er Lachke hiess und Systemprogrammierer war. Von der Abschirmung wusste auch er nichts. Genauso wenig brachte es etwas, ihn die Geschichte rückwärts zu erzählen lassen. In den wesentlichen Fakten stimmten sie überein, auch wenn die Zeitabläufe schwankten.

Der Mythos, dass Lügner an den Augenbewegungen zu erkennen wären, war schon längst widerlegt. Auch die anfänglich benutzten Tricks, wie Geschichten verkehrt herum erzählen zu lassen, hatten längst nicht mehr den ursprünglichen Effekt. Gewiefte Agenten und Terroristen übten das entsprechend.

Man musste den ganzen Menschen beobachten und seine Schlüsse ziehen. Zum Glück war noch nicht viel Zeit vergangen. So war die Wahrscheinlichkeit höher, dass die Geschichten sich noch ähnlich waren.

Dieser Burkhard dagegen erwies sich in keinster Weise als redselig. »Kein Kommentar!« war alles was sie zu hören bekam. Sogar auf die Frage nach dem Namen. Was für ein Idiot. Sie war fast versucht gewesen, diese Leute gehen zu lassen.

Aber dieser Burkhard gab ihr keinen Grund, dies tatsächlich auch zu tun. Mittlerweile waren auch Peterson und seine Leute wieder da. Und sie hatten einiges zu berichten.

»Wir haben alle persönlichen Devices eingesammelt, die wir finden konnten. Und einen Plan von der Abschirmung haben wir auch gefunden. Wie auch so einen kleinen Sensor, der die Abschirmung aktiviert. Die ist nur in der Küche aktiv, aber trotz der Bastelei wohl recht effektiv.« berichtete Peterson.

Myers ergänzte »Und der Keller führt in einen unterirdischen Gang. Soweit wir rausgefunden haben, führt ein Gang in ein Parkhaus. Das war wohl der Fluchtweg, den sie genommen haben.«

Da alle Personen mittlerweile wieder in der Küche versammelt waren, warf Heather die Frage nach dem Auto einfach in die Runde.

»Weiss jemand, welches Auto Herbert fährt?«

»Der hat doch gar kein Auto …« kam von Claudia.

»Peterson, Handschellen für diesen lustigen Verein und verfrachten sie sie in den Wagen. Ich denke die Damen und Herren bestehen auf unsere Gastfreundschaft.«

Laute der Empörung kamen von den drei Delinquenten. Dieser Burkhard hatte auf einmal seinen Sprachschatz wieder entdeckt.

»Wir haben von der ganzen Sache nichts gewusst. Rein gar nichts. Und wir haben nichts getan. Mit welchem Grund wollen sie uns verhaften?« warf er Heather wütend entgegen.

»Nun, ich denke Bedrohung der nationalen Sicherheit dürfte völlig ausreichen. Ich weiss ja nicht, ob sie in deutschen Sprüchen bewandert sind. Wie ich finde, gibt es hier ein paar sehr passende Sprüche. Zum Beispiel ›Mitgefangen, mitgehangen‹ oder wie finden sie diesen hier …« wobei sie Burkhard scharf anblickte.

»Unwissenheit schützt vor Strafe nicht …«

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