Lutherstrasse 7, Wiesbaden

Brad Peterson war ein Mann, der einen geregelten Tagesablauf bevorzugte. Klar, er hatte schon den einen oder anderen Einsatz mitgemacht. Aber alles war geplant und sowie so schon erledigt, wenn sie direkt vor Ort kamen.

Es waren eher die Einsätze an extrem realistischen Ego-Shootern, die für verschwitzte Hemden sorgten. Keine Einsätze mit direkter Feindberührung.
Jackson hatte beim Aufputzen mal einen verletzten Terroristen erledigt, bevor dieser Jackson berühren konnte. Nun ja, er hatte keine Waffe. Das war wahrscheinlich übertrieben. Aber möglicherweise war er verseucht mit Nanos oder Viren. Man durfte kein Risiko eingehen.

Und eigentlich war er noch ein Kind, wie es schien. Aber Jackson bestand darauf ihm das Leben gerettet zu haben und meistens glaubte Peterson das auch. Aufputzen, so nannte man die Sichtung eines gesäuberten Gebiets. Nachdem die BomberBugs die Vorarbeit erledigt hatten, die Ratten aus ihren Löchern gebombt hatten, kamen die KillBugs. Die liefen zwar autonom, aber der Mensch war immer noch besser als diese ganze Systeme. Besser im Erkennen von Ungereimtheiten und neuen Taktiken. Die BomberBugs waren eher langweilig in der Steuerung. Ausser man bekam es mit Luftabwehr zu tun. Dann machte es Spass, ein Tänzchen hinzulegen und dabei Bomben zu verlieren.

Dummerweise war das Spiel real. So real, dass einem der Staub am meisten zu schaffen machte. Bis sich der Staub von Hellfires gelegt hatte, dauerte es ein Weilchen. Und wenn man einen Bombenteppich legte, dann war man nahezu blind. Was nützten die Infrarot-Sensoren, wenn alles noch heiss von der Explosion war? Besonders wenn Treibstoff mit explodiert war.

Die Schalldetektoren konnten auch dann erst sinnvoll eingesetzt werden, wenn die Explosionstrümmer zur Ruhe gekommen waren. Die Geruchsdetektoren konnte man auch vergessen. Blieb nur die gute alte Optik, was bedeutete über dem Explosionszentrum zu kreisen oder am Rande zu warten, bis die ersten Ratten ans Tageslicht kamen. Er bevorzugte eher die Falken-Taktik.

Über einer wahrscheinlichen Stelle für Überlebende schweben und bei den ersten brauchbaren Signalen näher gehen und die Ratten jagen. Am meisten Spass machte es, sie zusammenzutreiben, einzukesseln und dann zu erledigen. Dann musste man beim Aufputzen nicht so weit laufen. Denn das war die letzte Phase. Vor Ort. Persönlich sicherstellen, dass nichts entkommen war.

Aber all dies half ihm gerade gar nichts. Brad Peterson fragte sich stattdessen, wie um Himmels willen, dies alles hatte so ausufern können. Irgendwie kam in Jackson das Tier zum Vorschein und er musste verdammt aufpassen, dass es hier nicht zu Toten kam. Ohne Aufsehen zu erregen.

Na prima! Miss Marple könnte ja hier mal vorbeikommen und das Aufsehen abregen, das hier schon erregt wurde. Aber wenn er das richtig sah, müsste Miss Marple mittlerweile der Arsch auf Grundeis gehen. Die Verbindung müsste mittlerweile lang genug unterbrochen sein, dass sie sich Sorgen machen würde.

Peterson spähte durch die Gardine nach draussen. Er konnte hier Jackson keine Sekunde allein lassen. Wenn bei seiner Rückkehr nur ein Toter zu beklagen sein würde, dann wäre das noch ein Erfolg. Diese rebellischen kleinen Wichser hatten es voll drauf, Jackson wütend zu machen.

Genau in dem Augenblick, in dem sich Peterson wieder umdrehte um die Situation und Jackson in den Griff zubekommen, fuhren Myers und Kipling vor und parkten direkt in Sichtweite. Hätte Peterson sich einen Moment später umgedreht, hätte er Myers oder Kipling bestimmt bemerkt. Doch die Situation im Haus erforderte jetzt seine Aufmerksamkeit.

»Abe, du stellst dich bitte da drüben hin, so hast du alle Beteiligten im Blick! Ich werde mir die Burschen mal einzeln vorknöpfen. Wenn jemand zuckt …«

»Is schon klar Brad!« fuhr Jackson ihm dazwischen.

»… dann erschiess bitte nicht mich, klar?« setzte Peterson seinen Satz weiter fort. Dann wand er sich an die Krankenschwester.

»Und? Wird er es überstehen?«

»Ich weiss es nicht.« antwortete Susanne wahrheitsgemäss.

»Ich habe bis jetzt die Blutung nicht stoppen können. Ich habe hier weder Kochsalzlösung noch passende Blutkonserven, geschweige denn, dass es hier sonderlich steril ist. Was wir hier haben, reicht wenn man sich in den Finger schneidet aber nicht wirklich für eine Schussverletzung. Willy braucht ärztliche Versorgung und zwar schnell, wenn es beliebt!«

»Es beliebt nicht! Daher sage ich kauterisieren und zwar schnell. Abe mach eine Herdplatte an und stell eine Pfanne drauf. Fräulein Krankenschwester, sie suchen schnellstmöglich eine Zange und eine Nadel aus Metall, die lang und schmal genug ist! Abe, du folgst ihr, wenn sie dazu den Raum verlassen muss.«

Eigentlich war die Devices nicht wirklich tot. Sie hatten alles um ein GPS-Signal auch unabhängig zu orten. Leider war sie abhängig von einer Online-Verbindung. Heutige Programmierer hatten vergessen, das es man auch Offline sein konnte.

Für Einsätze in unzugänglichen Gebieten wurden winzige RouterBugs vorgeschickt, die dafür sorgten, dass alle Geräte volle Netzabdeckung hatten. Das GPS-Signal hätte auch so geortet werden können. Aber da die Devices auf eine Online-Verbindung angewiesen waren um auch nur ein Programm zu starten, ging gar nichts mehr.

Peterson wünschte sich, er hätte ein Medikit mitgenommen. Die Gewebekleber, die man mit etwas UV-Licht aushärtete, wären ideal gewesen. Damit wäre das Problem im Handumdrehen behoben. Egal. Willy also. Mal schauen, ob man mit dem Typen reden konnte. Vielleicht liess sich das ja ausnutzen.

»Also Willy« meinte Peterson, während er zu diesem Bär von einem Mann trat, der mit zuckenden Lippen auf dem Tisch lag.

»Was kannst du mir über den Ausweis von John Mitchell erzählen?«

»Was für ein Ausweis? Was wollen sie eigentlich hier?« nuschelte Willy zurück, während seine Augen leicht zu flattern begannen. Peterson legte den Finger auf die Wunde. Jedoch nicht im symbolischen Sinne. Und drückte etwas auf den blutgetränkten Verband.

»Ich hasse es, mich wiederholen zu müssen. Was weisst du über den Ausweis von John! Zwinge mich nicht, unangenehm zu werden. Wir können das ganz friedlich und schnell beilegen, wenn du mir verrätst wo sich der Ausweis befindet und wo John sich befindet. Ich habe weder Zeit für Spielchen, noch Lust auf Spielchen. Also?«

Willy stöhnte auf, seine Augen flatterten kurz stark und dann gingen für Willy die Lichter aus.

»Fuck!« murmelte Peterson vor sich hin, während die Krankenschwester mit einem langen Dachnagel zurückkehrte. Jackson im Schlepptau und offensichtlich noch am Leben. Was möglicherweise dem Umstand zu verdanken war, dass sie eine Frau war. Beim Terroristenverhör, wenn es mal eins gab, hob sich Jackson Frauen immer bis zum Schluss auf.

Mit denen hatte er am meisten Spass gehabt. Zumindest damals in Polen und der Ukraine. Nach der Destabilisierung, als alles im Chaos versank und man die verschiedenen Warlords gegeneinander ausspielen musste, damit man Arbeitskräfte auf Sklavenniveau und freien Zugang zu Ressourcen bekam.

Ein schleichendes Verschieben der Grenzen um allen Völkern den Segen der Demokratie zu bringen. Dabei war es so einfach: Man muss erst etwas zerstören, um etwas Neues aufzubauen!

»Abe, leg den Nagel zwischen Platte und Pfanne und erhitze ihn bis er glüht. Fräulein Krankenschwester, sie helfen mir, diesen Willy aufzusetzen. So verliert er weniger Blut. Also los, packen sie mal mit an.«

Beim Versuch Willy aufzusetzen merkten beide, wie schwer ein Mensch werden kann, wenn er ohnmächtig oder tot war. Sie bekamen Willy mit Mühe und Not auf dem Tisch in sitzende Position. Seine Beine baumelten vom Tisch und Peterson stützte seinen Rücken ab. Endlich meldete Jackson, dass der Nagel glühte.

»Gib ihn unserer Krankenschwester. Sie ist schliesslich ausgebildet. Dann kann sie das auch gleich machen.«

Susanne glaubte, es wäre ein guter Moment um ohnmächtig werden, stellte aber fest, dass es ihr im Gegensatz zu Willy nicht gelang. Kauterisieren mit einem Dachnagel, der möglicherweise die Wunde noch grösser machte? Andererseits, eine Zange und ein glühender Nagel können auch zur Waffe werden. Aber hatte sie den Mumm dazu? Oder war es nur einfach dumm. Wahrscheinlich Letzteres.

Mit zitternder Hand nahm sie die Zange mit dem glühenden Nagel von dem Revolverhelden entgegen. Der eine war damit beschäftigt, Willy festzuhalten. Das hiess dass sie eigentlich nur einen Gegner hatte. Zumindest nicht zwei auf einmal.

Ohne zu überlegen rammte sie den glühenden Nagel kurz in den Oberschenkelstrecker. Wobei sie hoffte, die Sehne gut genug getroffen zu haben. Und in dem Moment, als Jackson zwangsläufig einknickte, rammte sie im den Nagel auch noch kurz ins Auge. Jackson brach schmerzerfüllt zusammen und war ausser Gefecht.

Seltsamerweise schrie er nicht, sondern wimmerte auf sirenenhafte Art vor sich hin. Aus den Augenwinkeln sah sie, wie Willy langsam zur Seite kippen. Nur dieser verdammte Peterson war nicht zu sehen. Instinktiv eilte sie zu Willy, um ihn aufzufangen. Als sie von den Beinen gehoben wurde und hart auf dem Boden aufschlug.

Diesmal wurde sie ohnmächtig …

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