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Wiesbaden und Umgebung

Fast zwei Stunden waren sie jetzt schon in diesem Haus. Und eigentlich waren sie keinen Schritt weitergekommen. Als Heather die Prioritätsmeldung des Bomberbugs aus den Notstandszonen bekam, wurde sie bleich. Alles was sie sagen konnte war:

»Nein! Nicht John!«

Sie hatten das geheime TOR Netzwerk infiltriert und den Wikileaks Server übernommen. Aber nichts hatte sie auch nur einen Schritt weiter in der Erkenntnis gebracht, was wirklich passiert war.

Sicher, sie hatten die Videoaufnahmen, die dieser abwesende Herbert gestreamt hatte. Aber dies alles war nur Geplänkel. Von John keine Spur und keinen Hinweis, dass diese Burschen wirklich was mit der Entführung von John zu tun hatten.

Das CERBERUS hier aktiv gewesen war, konnte man auch auf den Videos nicht übersehen. Aber seit sie ihn gegrillt hatten, gab es keine Hinweise mehr auf CERBERUS. Heather war nicht bereit, zu glauben, dass CERBERUS tatsächlich tödlich getroffen war. Irgendetwas sagte ihr, dass ihr Gegner einfach nur schlau genug war.

Und sie hoffte darauf, dass es einen Moment gab, als dieses Wesen zu schlau gewesen war. Und sie eine Fährte fand. Die wahrscheinlichste Variante war immer noch, dass irgendjemand der nicht anwesenden WG-Mitglieder die Daten von John an jemanden weitergegeben hatte. Soweit es John anging.

Doch CERBERUS war bis zu dieser Prioritätsmeldung ein blinder Fleck. Bei der Ungeheuerlichkeit des Geschehens konnte es gar nicht anders sein. CERBERUS musste hier seine Finger im Spiel gehabt haben. Das alte Frankenstein-Spiel. John hatte gespielt, gesetzt und verloren.

»Myers. Kipling. Sie fahren unsere Gäste in die Verhörzellen! Nehmen sie Petersons Wagen, der steht sowieso schon zu lange hier rum.«

Langsam bekam Heathers Gesicht wieder etwas Farbe. Keiner der beiden fragte sie, was los wäre. Sie wussten zu gut, dass man Miss Marple so nehmen musste, wie sie war. Sie sagte nur das, was man wissen musste. Und Neugier konnte sie gar nicht leiden.

»Peterson, Gosford, Miller! Wir machen einen Ausflug und sammeln die Reste von John ein.«

Ein leichtes Erschrecken durchbrach das Pokerface von Gosford, als er diese Ansage hörte. Miller schaute betreten und nickte. Peterson liess sich nichts anmerken und packte das Equipment zusammen.

»Planänderung! Gosford, ich habe ihnen die Kennung eines BomberBugs geschickt. Sorgen sie dafür dass das Ding gelandet und analysiert wird. Alle Protokolle und Devices sind auf Manipulation zu überprüfen. Und die Techniker sollen herausfinden, warum dieses Ding John eliminiert hat.«

Heather wartete nicht darauf, dass Gosford ihr antwortete.

»Sie können das von hier erledigen und sich abholen lassen um die ganze Sache zu überwachen. Wir kommen zu ihnen sobald wir den Tatort gesichert haben.«

Heather wandte sich um und marschierte zu Tür.

»Peterson? Miller? Brauchen sie eine Einladung?« war alles, was die beiden zu hören bekamen, als sie noch die Salzsäulen gaben, ob der langsamen Erkenntnis was da eben passiert sein musste.

Anscheinend hatte ein Bug von ihnen John erledigt. Das war erstmal harter Tobak. Und nun sollten sie in ein Gebiet, in dem die Bugs die eigenen Leute ins Visier nahmen? Das versprach lustig zu werden.

»Und wohin?« fragte Miller dämlich.

»Kannst ja mal dein Smarty vom Nachttisch holen. Vielleicht weisst du es dann!« antwortete Peterson trocken mit einem missbilligendem Seitenblick. Miller war die Lust auf Fragen vergangen. Er trottete hinter Peterson her und dachte sich ›Seh ich ja, wenn wir ankommen.‹

Miss Marple hatte schon das Navi programmiert. Hätte Miller sich die Mühe gemacht, hätte er gewusst, dass sie in Richtung des ehemaligen Walluf unterwegs waren. In der Nähe des Rheinufers. Eine oftmals umkämpfte Zone.

»Peterson, in den Notstandszonen übernehmen sie. Gehen sie auf manuelle Steuerung und schauen sie, dass sie uns aus Schwierigkeiten heraushalten.«

Heather fragte sich, ob sie doch lieber Gosford hätte mitnehmen sollen. Manchmal wirkte Hank Miller wie eine Schlaftablette.

»Und sie, Miller, können sich während der Fahrt auch nützlich machen. Nehmen sie Kontakt zur Zentrale auf. Sorgen sie dafür, dass im Umkreis von Johns Leiche und unserem Weg dahin keine Bugs sind. KEINE. Verstanden?«

»Und nicht erst morgen …« fügte Heather hinzu während sie sich an Peterson wand.

»Wir müssen so viel wie möglich sichern. Ich will sicher gehen, dass es John war. Und ich will wissen, warum ein Bug John angegriffen hat.«

Als sie zum offiziellen Übergang kamen, vermeldete Miller, dass alle Bugs soweit aus dem Weg geräumt wären. Anerkennend nickte sie Miller zu. Wenn man ihn etwas ›motivierte‹ war er durchaus zu Leistung fähig.

Der Weg durch die Notstandszonen zog sich hin. Währenddessen betrachteten alle immer wieder die Sequenz, die der BomberBug aufgenommen hatte. Gemäss der Anzeige konnte der BomberBug John nicht als Freund einstufen. Obwohl John klar zu erkennen war. Irgendetwas schien mit seinen Füssen nicht zu stimmen.

Er versuchte verzweifelt von dem BomberBug wegzurobben und hielt seinen Ausweis in die Höhe. Und der BomberBug identifizierte auch klar den Ausweis. Aber nicht John. Der ihn in der Hand hielt.

Und dann legte diese Höllenmaschine los. Ein bisschen Feuerwerfer, eine kleine Antipersonenbombe und innerhalb kürzester Zeit war da nichts mehr, das auch nur annähernd an John erinnerte. Ausser diesem Krater. Und brennende, sich in Staub verflüchtigende Teilchen.

Es würde schwer werden, noch irgendetwas Brauchbares zu finden. Diese Methode, die der Bug angewendet hatte, gehörten zur Seuchenbegrenzung. Ziel war eine Eindämmung von Nano-Seuchen. Da durfte nichts mehr übrig bleiben. Ausser Hitze. Die Endstufe der Energie. Keine weitere Umwandlung möglich.

Doch wie alles in der Welt, war auch diese Methode keineswegs sicher. Und keineswegs so vollständig, wie sie hätte sein müssen. Nicht alle Teilchen hatten schon die thermische Umwandlung hinter sich, wenn die Antipersonenbombe gezündet wurde. Rund um den Krater sollten sie die Möglichkeit haben, noch Reste von John zu finden. Oder was das auch immer gewesen war.

»Holen sie die Schutzanzüge aus dem Rücksitz, Miller!« befahl Heather.

Sie würde sich nicht dem Risiko einer Nano-Infektion aussetzen. Soweit sie den Aufzeichnungen dieses Bugs vertraute, hatte dieser auf die Nano-Infektion reagiert. Wobei der Bug nicht in der Lage war, die Nanos zu identifizieren.

Sie würden sich bis zur Entseuchung auch nicht mehr aus diesen Anzügen begeben können. Schliesslich hatten sie in dem Wagen keine Schleuse. Das Umziehen würde dagegen etwas beengt vor sich gehen. Doch darauf konnte Heather keine Rücksicht nehmen.

Peterson musste den Wagen anhalten, da sich manuelle Steuerung einfach nicht mit Umziehen vertrug. Und auf eine automatische Steuerung, hier draussen, in den Notstandszonen, wollte Heather auf keinen Fall vertrauen.

Zu schnell veränderte sich hier das Gelände. Als sie endlich ankamen und ausstiegen, fanden sie alles so vor, wie es die Bilder des BomberBugs gezeigt hatten. Das hiess erstmal nichts. Nichts Brauchbares.

Also liefen sie ein spiralförmiges Muster um den Krater ab. Drehten jeden verdammten Stein um. Dabei schwitzten sie in ihren Schutzanzügen, was dies alles keineswegs angenehmer machte. Ganz im Gegenteil. Man konnte sich noch nicht mal den Schweiss von der Stirn wischen. Obwohl man es ständig immer wieder versuchte. Reflexe waren einfach nicht totzukriegen.

Zumindest nicht, wenn man kaum mit Schutzanzügen unterwegs war. Zum Glück hatten sie diese bis jetzt nur bei Übungen gebraucht. Da war keine anstrengendes Suchen, sich Bücken und in der Gegend herumlaufen Teil der Übung. Anzug anziehen, sich sammeln. Gebäude verlassen und fertig. Das war es im Allgemeinen.

Inzwischen hatte sich Gosford gemeldet.

»Mam, der Bug ist völlig in Ordnung. Da gibt es keine Fehlfunktion. Keine Anzeichen für Infektionen. Gar nichts. Auch die Logs sind in Ordnung. Kurz vor dem Eintreffen bei John gab es einen kurzen Kommunikationsausfall. Aber sonst? Nichts! Nichts Verdächtiges. Nichts Seltsames.«

Gosford machte eine kurze Pause, während Heather überlegte, ob dies alles mit rechten Dingen zuging.

»Gemäss den Logs war John mit Nanos verseucht. Er wurde auch als John identifiziert. Auch von dem BomberBug. Allerdings als Feind. Es war niemand, der nur so aussehen sollte wie John. Es war John, so leid es mir tut.«

»Halten wir uns an die Fakten.« warf Heather ein. Ihr Headset fing leicht zu knistern an.

»Schauen wir zuerst, ob wir noch irgendetwas von John finden, das uns sicher beweist, dass es sich um John handelte. Alles was wir haben sind Bilder. Und elektronische Signale.«

Heather wollte es einfach nicht glauben. Hatte CERBERUS John verseucht? Oder irgendwelche rivalisierenden Gruppen hier draussen? Dagegen sprach, dass der BomberBug den Typ der Nanos nicht identifizieren konnte. Entweder gab es hier eine neue Nano-Bedrohung oder CERBERUS hatte John geimpft.

Aber mit was? Wobei das fast schon müssig war. Fast schon. Noch knurrte ihre Misstrauen im Hintergrund aus einer dunklen Ecke ihres Gehirns.

»Ihre Spezialisten sollen sich den Kommunikationsausfall und alle Ereignisse rund herum nochmal genau anschauen« fügte sie hinzu.

»Ähh, ja, natürlich, Mam. Aber, wie soll ich sagen …« stammelte Gosford.

»Das war die einzige auffällige Stelle. Die haben wir uns schon hundertmal angesehen …«

»Dann sehen sie es sich eben hundertundeinmal an, Gosford! Da muss irgendetwas sein. Fangen sie ab der Zeit an, zu der John entführt wurde. Und arbeiten sie sich vor.«

Heather war nicht in der Stimmung zu diskutieren. Und sie wollte es einfach nicht glauben. Das dieser BomberBug völlig richtig und eigenständig gehandelt hatte.

Zu ihrem weiteren Verdruss meldete sich nun Miller.

»Ich hab hier ein paar minimale Kleidungsfetzen und Haare gefunden!«

»Dann packen sie es gut ein. Wollen wir hoffen …«

Heather beendete den Satz nicht. Was wollte sie hoffen? Das es John war? Das er es nicht war? Das es nur ein anderer toter Mensch war? Der zufällig hier gestorben war?

Kurze Zeit später fand Peterson den Ausweis von John. Ausser ein paar Brandspuren schien er unversehrt. Heather entging nicht die Ironie dieser Situation. Wie oft waren Attentate manipuliert worden. Von den verschiedensten Seiten. Ihre nicht ausgeschlossen. Bei denen man nichts fand. Ausser die Ausweise der Täter. Unversehrt!

»Ich habe eine kurze Analyse gemacht. Nichts Handfestes, nur was mit den Devices hier möglich ist.« meinte Miller.

»Raus mit der Sprache.« forderte Heather.

»Spannen sie uns nicht auf die Folter!«

Aus dem Headset drang nur ein verlegenes Murmeln.

»Miller!« rief Heather ihn zur Ordnung.

»Ja, ich meine, na ja, ich denke, also, nein, ja, sorry, es tut mir leid. Also tja …« nuschelte Miller.

»Die Haare scheinen tatsächlich von John zu sein …«

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